Schlusssession beim Tweetcamp, BloggerBrunch

Nachhaltigkeit in schnelllebigen Zeiten

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Schlusssession beim Tweetcamp
Schlusssession beim Tweetcamp, Foto: bk

Eine Woche ist es nun her, da über 100 Menschen zusammenkamen und ihre Gedanken zu Twitter auf einem BarCamp austauschten. In unseren schnelllebigen Zeiten kann nun einer sagen: »Was willst du jetzt noch dazu schreiben, das ist doch Schnee von gestern!« Und doch tröpfeln noch immer Nachbetrachtungen in meine zuletzt sehr angewachsene Timeline. Während die einen in der Zwischenzeit an mindestens einer vergleichbaren Veranstaltung teilgenommen haben und so längst in ganz anderen Welten unterwegs sind, scheint es anderen ähnlich zu gehen wir mir: Da hallt etwas in uns nach, bringt uns dazu, das Erlebte zu reflektieren und uns zu fragen, ob Weiterentwicklungen denkbar und wünschenswert wären.

Unorganisiert und kostenlos gleich wertlos?

Das BarCamp-Format an sich stellt ja schon eine Weiterentwicklung dar. Nur ist diese Erkenntnis an vielen Entscheider-Stellen genauso wenig angekommen wie in der breiten Bevölkerung. Etwas, das sich rühmt, unorganisiert zu sein und quasi nichts zu kosten, kann einfach nicht viel wert sein. Wenn ich mal wieder vor Menschen stehe und versuche, ihnen Tools wie Twitter unter anderem damit schmackhaft zu machen, indem ich ihnen erzähle, dass Twitterer sehr kommunikativ sind und sich gerne im Real Life treffen – zum Beispiel bei BarCamps –, schauen mich immer wieder dieselben großen fragenden Augen an. Offenbar zahlen sie lieber mehrstellige Summen, um Silberrücken und sonstige Kostümträger in noblen Hotels zu treffen. Sie legen sogar Geld dafür hin, um auf der Website eines (vermeintlich) bedeutsam Anderen verlinkt zu werden, und nennen das dann Netzwerken. Sich auf eine unorganisierte Konferenz einzulassen, bei der noch nicht mal Vorträge anerkannter Experten zu hören sind, scheint viele Menschen über alle Maßen zu irritieren.

Sehr wichtig erscheint mir in diesem Kontext der Aspekt, auf den @itbibi Brigitte Glatzel in ihrer #tck13-Nachbetrachtung eingegangen ist: den der Kommunikationsmodelle. Da mögen wir noch so viel über Wirklichkeitskonstruktion gehört und gelesen haben, und doch hängen die meisten der illusorischen Vorstellung nach, das technische Sender-Empfänger-Modell würde auch in der zwischenmenschlichen Kommunikation funktionieren. Besonders jene, die noch nie über Kommunikation nachgedacht haben oder Begriffe wie Wirklichkeitskonstruktion für intellektuellen Scheiß halten, sind der Überzeugung, dass der Redner (bei einer Konferenz/in einem Beratungsgespräch/in der Arztpraxis/…) nur Experte seines Fachgebietes genug sein muss, damit 1:1 empfangen wird, was gesendet wurde. Sie gehen davon aus, dass ein Experte immer Antworten und die Dinge immer unter Kontrolle haben muss. Alles andere sei ein Ausdruck von Inkompetenz. Und wer, bitte schön, zahlt schon für oder investiert gerne Zeit in jemanden, der offensichtlich inkompetent ist?

Inkompetenz fühlt sich nicht gut an

In der Medizin gibt es Untersuchungen, die sich mit Inkompetenz beschäftigen. Eine mögliche Erklärung, warum wir Inkompetenz als so unangenehm erleben: Wir fürchten, den Erwartungen anderer nicht entsprechen zu können, deshalb von ihnen abgelehnt zu werden. Durch das Ausbleiben der erwünschten Anerkennung kommt es dann wahrscheinlich zu einem plötzlichen Abfall des Opioid-Spiegels im Gehirn (der auch endogen, das heißt auch ohne Zufuhr von therapeutisch oder missbräuchlich zugeführten Opioiden existiert…), Unwohlsein ist die Folge. Bezogen auf das ärztliche Handeln zeigte eine Untersuchung: Je mehr ein Arzt der Überzeugung ist, immer die Kontrolle bewahren und Antworten auch auf unsinnige Fragen liefern zu können, desto üppiger, kostenträchtiger und selbstsicherer vorgetragen seine Diagnosen. Diejenigen Ärzte aber, die sich der Unsicherheit ihres Handels bewusst sind, dies mit ihren Patienten teilen und im Gespräch mit ihnen an dem geschilderten Problem arbeiten, gehen in ihrer Diagnostik besonnener vor und erleben sich gar nicht erst als inkompetent. (Suchman, A: Uncertainty, Competence, and Opioids. Journal of General Internal Medicine 6/2005.)

Bezogen auf unsere Thematik hier bedeutet diese Erkenntnis: Wir begeisterten BarCamper haben die Schulzeit wahrscheinlich unbeschadeter überstanden, als uns bewusst ist. Fern von der geschulten Vorstellung, dass es auf Fragen immer Antworten geben muss (und zwar bestenfalls genau die eine richtige), haben wir uns die Fähigkeit bewahrt, Fragen überhaupt erst einmal zu stellen und mit anderen zusammen an den möglichen Antworten zu arbeiten. Auch haben wir so eine Ahnung, dass sofortige Lösungsfindung vielleicht nicht immer der beste Weg ist. Über manche Dinge muss man einfach ein bisschen länger nachdenken.

Nach dem BarCamp ist vor dem BarCamp

Nun ist das mit dem etwas längeren Nachdenken in schnelllebigen Zeiten so eine Sache: Wer hat dafür schon Zeit? Silberrücken und Kostümträger in leitenden Funktionen schon mal sicher nicht. Aber auch wir Camper sollten uns da hinterfragen: Während die einen nach einem durchaus auch anstrengenden Camper-Wochenende zurück in den Berufstrott gehen, ziehen die anderen zum nächsten BarCamp weiter. Inwieweit sie die gerade gewonnen Erkenntnisse mitnehmen und an der neuen Stelle weiterdiskutieren, kann ich nicht wirklich beurteilen. Ich habe nur das dumme Gefühl, dass wir uns bei aller Weiterentwicklung noch nicht weit genug entwickelt haben. Nachhaltigkeit mag ein Gummibegriff geworden sein, und doch erscheint er mir als wesentlicher Faktor: Wenn nach dem BarCamp einfach nur vor dem BarCamp bedeutet, machen wir die Dinge vielleicht anders, kommen dabei aber auch keinen Schritt weiter.

Sehr wohl habe ich bei den Veranstaltungen, die ich besucht habe, neue wesentliche Kontakte geknüpft, die sich zum Teil über die Zeit hinweg zu Freundschaften entwickelt haben. So basiert der Kontakt zu Jasmin auf unserer Begegnung beim 2011er WordCamp, und Astrid habe ich 2012 bei einem Twittwoch kennen und bei einer geeks@cologne-Veranstaltung schätzen gelernt. Seither bereichern wir uns gegenseitig mit Ideen und wollen nun gerne versuchen, diese mit anderen zu teilen. NetworkingLine war nur ein Anfang. Wir sind selbst gespannt, was da noch kommen mag…

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